Die Dose auf Zeitreise ins Neandertal

Von Jürgen Datum.

Natürlich ist es nur pure Fiktion oder so eine Art geschichtliche Vision. Aber nehmen wir mal an, wir nähmen eine Dose. Natürlich nackt, ohne verwirrende und Effekt heischende Etikettierung, pur und ungeschminkt, eben so, wie Gott sie geschaffen hätte, wäre er nicht mit Adam und Eva schon genug beschäftigt gewesen. Diese nackte Dose, eventuell mit leicht geriffelter Oberfläche, weil die im Lichte der untergehenden Sonne besonders hübsche Reflexionen garantiert, diese Dose teleportieren wir gedanklich in graue Vorzeit. Was konkret bedeutet, dass wir das Rad der Geschichte mal locker um achtzig bis hunderttausend Jahre zurück drehen. Wir landen im Neandertal, wo wir unser Versuchsobjekt auf einer Lichtung platzieren. Und was passiert? Nichts. Wir warten. Und wir warten sehr lange. Aber es geschieht immer noch nichts. Denn dummerweise haben wir uns ein Plätzchen ausgeguckt, an dem ein Neandertaler sehr, sehr selten auf die Jagd geht. Doch wir bleiben beharrlich und nehmen uns Zeit. Denn was sind schon ein paar tausend Jahre mehr oder weniger angesichts eines so spannenden Versuches? Und in der Tat, unsere Geduld wird belohnt. Mit einem Bild, an dem selbst Hedwig Courts-Mahler ihre helle Freude gehabt hätte: Ein Neandertaler, eigentlich nur auf der Jagd nach Beute, um sein profanes Hungergefühl und das seiner Lieben zu befriedigen, entdeckt die Dose. Im Schein der letzten Sonnenstrahlen macht sie eine besonders gute Figur. Ein Monument aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit, einer anderen Galaxie. Der Jäger ist fasziniert. Spontan fällt er auf die Knie und in ihm regen sich Anzeichen einer erstmalig aufkeimenden Religiosität. Mit anderen Worten: Er betet sie an. Aufgeregt eilt er zu den Seinen, die ihm neugierig folgen. Auch sie sind einfach hingerissen beim Anblick des Objektes. Bis auf einen. Denn wie in jeder guten Vision gibt es natürlich auch in dieser einen bösen Quertreiber, der sich nicht blenden lässt und der genau wissen will, was Sache ist. Schreiben wir ihm ganz einfach ein bisschen animalischen Wissensdurst zu gute, als er seine Keule schwingt und unsere Dose mit einem beherzten Schlag zertrümmert. Das Ergebnis? Niederschmetternd. Denn vermatschter Linseneintopf quillt aus unserer völlig deformierten Dose, während sich die urzeitliche Reisegruppe angewidert und in tiefster Seele desillusioniert abwendet. Fazit: Alles zu seiner Zeit.

Auszug aus dem overdose-Buch mit fotografischen overdose-Inszenierungen in Berlin an bekannten und "unmöglichen" Orten.